INNENANSICHTEN DEUTSCHLAND 1945

Tagung in der Evangelischen Akademie Tutzing, 9. – 11.1.2015
Programmflyer (PDF)

Wie erlebten die Zeitgenossen die letzten Monate des Krieges, das Ende der NS-Herrschaft, Kapitulation und Besatzung? Dachten sie nach über Schuld und moralisches Versagen? Die Zeugnisse deuten eher darauf hin, wie stark das Erleben vom eigenen Existenzkampf, von persönlichen Verlusten, aber auch von der Erleichterung des Überlebthabens geprägt war.

Innenansichten Deutschland 1945: Die Bilder sind unterschiedlich, oft unvereinbar. Schroffe Gegensätzlichkeit kennzeichnet das Erleben der Mehrheitsdeutschen und der Opfer der NS-Verbrechen. Kriegsende und Besatzungszeit stellten sich ganz anders dar, lebte man im Osten oder Westen, in der Stadt oder auf dem Land, war man überzeugter Nazi, Mitläufer oder Gegner, Soldat oder Zivilist, Mann oder Frau, jung oder alt, KZ-Überlebender, Zwangsarbeiter. Diese Unterschiede gehen nicht in dem Gegensatzpaar Niederlage oder Befreiung auf.

Im Luftkrieg fallen Deutschlands Städte in Schutt und Asche, werden für die Überlebenden unbewohnbar, während die NS-Propaganda den Sieg der gläubigen Volksgemeinschaft beschwört: „Unsere Mauern brechen, aber unsere Herzen nicht.“ In militärisch aussichtsloser Lage wird weitergekämpft, im Osten vervielfachen sich die Zahlen der getöteten Soldaten und Zivilisten, der Flüchtlinge, der Vergewaltigten. Gleichzeitig werden im Westen Ortschaften den West-Alliierten als dem „freundlichen Feind“ übergeben.

In der Endphase des Krieges wird die nationalsozialistische Gewalt exzessiv. Im Terror gegen KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene, ausländische Arbeiter, Deserteure und Kapitulationswillige werden Zehntausende umgebracht, häufig wenige Stunden vor der militärischen Einnahme der
Lager und Ortschaften. Die KZ-Insassen, die auf ein Überleben gehofft hatten, sterben zu Tausenden in Todesmärschen und finden auch jetzt nur ausnahmsweise Hilfe bei der Bevölkerung.

Die Alliierten treffen nicht, wie sie erwarteten, auf eine fanatisierte Nazi-Bevölkerung. Aber ebensowenig verbreitet ist Einsicht in die eigene Mitbeteiligung an dem verbrecherischen NS-System. Viele Deutsche fühlen sich nun selbst als Opfer und rechnen Schuld auf.

Im Anschluss an die These von der „Unfähigkeit zu trauern“ (A. und M. Mitscherlich) steht am Ende der Tagung die Frage, wie die moralischen und existenziellen Brüche des Kriegsendes weitergewirkt haben – auch über die vergangenen 70 Jahre hinweg.

„Wie Nationalsozialistisch waren die Deutschen?“

Tagung in der Evangelischen Akademie Tutzing am 9.-11.12. 2011


Programmflyer (PDF)

Das NS-Regime war auf die Loyalität und Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen. Den Beitrag der großen Mehrheit der Deutschen zum Funktionieren des Regimes zu untersuchen, fällt angesichts des Ausmaßes der NS-Verbrechen immer noch schwer. Die Einschätzung der Art und Tiefe der Bindung an den Nationalsozialismus wirft auch für die Kinder und Enkel der „Volksgenossen“ emotionale und moralische Probleme auf.

In der Forschung zur Motivbasis des Nationalsozialismus zeigen sich große Differenzen: Machten sich die meisten Deutschen den rassischen Antisemitismus der Nazis zu eigen? Standen sie den genozidalen Plänen des Regimes zustimmend oder distanziert gegenüber? Wie wichtig waren Führerkult und Inszenierungen der Volksgemeinschaft? Welche Bedeutung kam psychischen Motiven wie Größenvorstellungen, Rachewünschen, Gewaltfaszination, narzisstischen Gratifikationen zu? Erklärt sich die Akzeptanz der Ideologie und der Politik aus einer eher oberflächlichen Mobilisierung, aus opportunistischer Vorteilsannahme, aus resignierter Unterwerfung, aus Nationalstolz? Oder waren die Menschen durch den Nationalsozialismus psychisch so stark geprägt, dass diese dentifikationen auch nach 1945 weiterwirkten und sogar auf die nachfolgenden Generationen übertragen wurden?
Bis in die Gegenwart sind die Debatten über Motive und Ausmaß der (Mit-)Täterschaft von starken Emotionen und moralischen Verurteilungen geprägt. Das gilt selbst für die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen. Dem massiven Vorwurf, die Verbrechensbeteiligung zu verharmlosen oder zu entschuldigen, steht der Vorwurf einer Preisgabe wissenschaftlicher Standards zugunsten des moralischen Rundumschlags gegenüber.

Auf der Tagung wollen wir mit Hilfe einer durchgehenden Prozess-Beobachtung versuchen, die sicher auch dort aufkommenden Emotionen zu reflektieren.

Veröffentlichung Psychosozial

Psychosozial-Heft III/2008, 31. Jahrgang, Nr. 114 mit dem Schwerpunktthema: Ist Die Unfähigkeit zu trauern noch aktuell? Eine interdisziplinäre Diskussion. Gießen. Psychosozial Verlag, November 2008-10-09

Arbeitsgruppe DGPT

Arbeitsgruppe „Psychoanalyse und Nationalsozialismus – Vorstellung eines Internetforums. DGPT Jahrestagung 2006, Dresden, 23.10.06